Begleittext zum Youtubevideo:
Deutsche Radio Philharmonie
Dirigent: Christoph Poppen
Ruth Ziesak, Sopran
Anja Schlosser, Mezzosopran (Alt)
Claudia Mahnke, Mezzosopran
James Taylor, Tenor
Nikolay Borchev, Bariton
Konzertchor Darmstadt (Einstudierung: Wolfgang Seeliger)
Congresshalle Saarbrücken ∙ Freitag, 12. Dezember 20081858, zu seinem zweiten Weihnachtsfest im Amt als Organist der Église de la Madeleine in Paris, stellte Camille Saint-Saëns sein „Oratorio de Noël“ vor, ein lateinisches Weihnachtsoratorium nach Worten der Heiligen Schrift in der Fassung der Vulgata. Liturgisch gesehen, beschränkt sich das Werk streng auf die Verse 8 bis 14 aus dem zweiten Kapitel des Lukasevangeliums, also die Verkündigung an die Hirten. Daran schließen sich umfangreiche Betrachtungen auf biblische Texte aus dem Alten und Neuen Testament an, die Saint-Saëns raffiniert gestaffelt hat: Von solistischen Arien weitet sich die Perspektive kontinuierlich über Duett, Terzett und Quartett bis hin zum Quintett mit Chor und dem folgenden Schlusschor. Mit zehn Nummern und 40 Minuten Spieldauer ist es für die Epoche ein eher knappes Werk, zudem im Stil schlicht gehalten. Dennoch blieb der junge Komponist dem rührenden Sujet an Stimmungsmalerei nichts schuldig.
Unverkennbar handelt es sich um Musik eines Organisten, beschränkte sich Saint-Saëns im Orchester doch auf Streicher, solistische Orgel und die von ihm so geliebte Harfe. Das Orchestervorspiel wird von der Orgel einer Hirtenweise eröffnet. Saint-Saëns dachte sich dieses Präludium „dans le style de Séb. Bach“, im Stile von Bach. Im weich schwingenden Siciliano-Rhythmus spielte er auf die Sinfonia zum zweiten Teil des „Weihnachtsoratoriums“ an und suggerierte damit – wie Bach –das Bild der musizierenden Hirten auf dem Feld bei Bethlehem, bevor der Engel erscheint. Freilich mischten sich dem Franzosen auch andere Farben ins Bild: Anklänge an französische Drehleiermusik und Reminiszenzen an die „Noëls“, jene pastoralen Weihnachtsstücke, die französische Organisten in der Christmette zu improvisieren pflegen.
Es folgen die Verse 2, 8-14 aus dem Lukasevangelium, vorgetragen von den vier Solisten im Wechsel. Das Rezitativ wirkt bei Saint-Saëns archaischer als bei Bach, angelehnt an den Rezitationston der katholischen Liturgie und von der Orgel in lange ausgehaltenen Akkorden begleitet. Lediglich bei den Verkündigungsworten geht der Sopran in ein hochromantisches Arioso über, das seine höchste Emphase bei den Worten „Christus Dominus“ erreicht. Erst beim „Gloria in excelsis Deo“ setzen auch die Streicher ein. Dabei ließ Saint-Saëns seine Engel über Bethlehem nicht in barockem Überschwang jubilieren, wie es Bach und Händel taten, sondern im strengen Kirchenstil Palestrinas.
Den Reigen der Arien eröffnet der Sopran in sanft schimmerndem E-dur und im Ton demütiger Heilserwartung („expectans expectavi Dominum“). Inbrünstiger und schon weit über Weihnachten hinaus weisend besingt der Tenor das Warten der Gläubigen auf den Erlöser („Domine, ego credidi“). Der Chor stimmt demütig in seinen Gesang ein. Erst die Harfentöne des folgenden Duetts verwandeln das Kommen des Messias in eine pastorale Genremusik: „Benedictus qui venit in nomine Domini“. Über quasi hingetupften Akkorden der Harfe und der Orgel stimmen Sopran und Bass eine Art weihnachtlicher Barcarole an. Bei der Stelle „Deus meus“ gehen sie in innigen Choralgesang über. Der Kontrast zum folgenden Chorsatz könnte kaum größer sein: Das „Warum toben die Heiden?“ vertonte Saint-Saëns ganz im Stile Händels: als wuchtigen Aufruhr der Chorstimmen über einem kräftigen Unisono-Thema der Streicher. Umso rührender der fast süßliche Schluss dieses Satzes.
Hochromantisches Arpeggio der Harfe begleitet das Terzett „Tecum principium“, während das „Alleluja“-Quartett wie ein Weihnachtschoral im Dreiertakt daher kommt. Seinen Höhepunkt erreicht das Oratorium in dem Quintett mit Chor „Consurge, Filia Sion“. Hier hat Saint-Saëns die Musik des Prélude wieder aufgegriffen. In die pseudo-Bachischen Harmonien der Hirtenmusik tönen nun die Solisten hinein. Ihr Wechselgesang zwischen Frauen- und Männerstimmen gleicht einem Weihnachtshymnus, in den der Chor immer wieder mit seinem „Alleluja“ einstimmt. Der Choralsatz eines schlichten Weihnachtsliedes beschließt das Werk.

Bern, Burgerbibliothek, Cod. 85, f. 77r
Biblia Latina (Vulgata), zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts, Bretagne

Bern, Burgerbibliothek, Cod. 85, f. 77v
Biblia Latina (Vulgata), zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts, Bretagne
«Das Jahr 1534 erwies sich für Martin Luther in Wittenberg als sehr segensreich. Die erste Gesamtausgabe seiner Bibelübersetzung war erschienen und einige Tage vor Weihnachten wurde ihm sein sechstes Kind, das Margretlein, geboren. Während Luther die Weihnachtspredigt über Lukas 2, 8-20 ausarbeitete, fanden seine Gedanken Wort und Weise zu einem der schönsten deutschen Weihnachtslieder: Vom Himmel hoch da komm ich her. 1913 gab Hans Lüstenröder in Frankfurt a.M. ein Büchlein heraus: Lauda Sion Salvatorem! Cantica Latina mit der lateinischen Übertragung des Lutherliedes durch Heinrich Hansen, Pfarrer auf der nordfriesischen Insel Pellworm.», aus: Josef Hohl, Tiro 37/1991 (H. 11/12) S. 2, zitiert nach: www.gottwein.de

Altis de caelis venio
1. Altis de caelis venio
Novumque vobis nuntio,
Quo maius et iucundius
Nil percepistis auribus.
2. Est natus puer hodie
Ex casta vobis virgine,
Puerulus tenellulus,
Quo cunctus gaudet populus.
3. Est varus Dei filius
Salvator, Christus, Dominus,
Salvabit ipse populum,
Redemptor erit gentium.
4. Salutem vobis tribuet,
Quam Deus pater conferet,
Nobiscum in caelestibus
Vivetis regionibus.
5. En signum vobis indico:
Nunc iacet in praesepio
Amictus incunabulis,
Qui mundum portat umeris.
6. O res quam laeta omnibus!
Eamus cum pastoribus,
Laeto visamus animo,
Quod Deus dat in Filio!
7. Attende, cor, et aspice:
Quis iacet hic in stramine?
Quis pulcher est infantulus?
Est sane dulcis Iesulus.
8. O salve, hospes nobilis,
Qui homines non respuis,
Hanc venis in miseriam:
Quid gratus Tibi porrigam?
9. Rerum creator omnium,
Nunc ubi est imperium,
Cum iaces in graminibus,
Quae edunt bos et asinus?
10.En mundus quamvis latior,
Auro gemmisque stratior,
Et margaritis splendidus
Prae cunis his, heu quantulus!
11. Faenum et incunabula
Sunt purpura et serica,
In quibus, Rex ditissime,
Splendes fulgesque lucide.
12. Sic vere mihi indicas,
Quantopere fastidias
Terrenas res et glorias
Honores et divitias.
13. O Jesu, meum animum
Fac Tibi purum lectulum,
In quo – ah, quantum gaudium! –
Quiescas in perpetuum
14. Qua re exsultat animus
Laetisque canit fidibus,
Et verum clamat euoe
Hoc salutari tempore.
15. Laus honor Deo Maximo
Et parto Unigenito,
Qui angelis est gaudium
Et nobis novum saeculum!
Hor., c. I 9
Alkäische Strophe
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Vides, ut alta stet nive candidum
Soracte nec iam sustineant onus
silvae laborantes geluque
flumina constiterint acuto.
dissolve frigus ligna super foco
large reponens atque benignius
deprome quadrimum Sabina,
o Thaliarche, merum diota.
permitte divis cetera, qui simul
stravere ventos aequore fervido
deproeliantis, nec cupressi
nec veteres agitantur orni.
quid sit futurum cras, fuge quaerere, et
quem Fors dierum cumque dabit, lucro
adpone, nec dulcis amores
sperne puer neque tu choreas,
donec virenti canities abest
morosa. nunc et campus et areae
lenesque sub noctem susurri
conposita repetantur hora,
nunc et latentis proditor intumo
gratus puellae risus ab angulo
pignusque dereptum lacertis
aut digito male pertinaci.
Übersetzung: E. Mörike
Du siehst, im Schneeglanz flimmert Soraktes Haupt;
und horch! der Wald ächzt, unter der schweren Last
erseufzen dumpf die Wipfel; Kälte
fesselt die Wasser mit scharfem Hauche.
Vertreib den Winter, reichlich den Herd mit Holz
versehn! Dann schenke, Freund Thaliarchus, uns
vierjähr’gen Weins, und ja genug, ein
aus dem sabinischen Henkelkruge.
Befiehl der Götter Sorge das Übrige!
sobald nach ihrem Wink von der Stürme Kampf
die Meeresbrandung ruht, so ruhn auch
alte Cypressen und Eschen wieder.
Was morgen sein wird, frage du nicht: Gewinn
sei jeder Tag dir, den das Geschick verleiht;
und nicht der Liebe Lust, o Knabe,
achte gering noch die Reigentänze,
so lang die Jugend grünet und ferne sind
des Alters Launen. Kampf und das Feld des Mars
und nachts der Liebe leises Flüstern
suche noch auf zur besprochnen Stunde;
Und jenes süsse Lächeln vom Winkel her,
wo das versteckte Mädchen sich selbst verrät
und du vom Arm und von dem spröd’ sich
stellenden Finger das Pfand ihr abziehst.