Das «Stabat mater» ist ein mittelalterliches Gedicht, das die Schmerzen und Trauer der Mutter Jesu Christi während dessen Leiden am Kreuz beschreibt. Es ist unklar, wer das Gedicht ursprünglich verfasste, man geht jedoch davon aus, dass der Text im 13. Jahrhundert entstand.
Vertonungen
Das Stabat Mater wurde von klassischen Komponisten sehr oft vertont: vom gregorianischen Choral, über di Lasso (1585), Pergolesi (1736) bis hin zu Rossini (1832/42), Verdi (1898) und ganz modernen Vertonungen wie etwa derjenigen von Karl Jenkins (2008). Auf unserer Studienreise nach Rom im April 2023 hören wir Vivaldis Version (RV 621).
Lateinischer Originaltext, gedichtet um 1200–13001
Gereimte Übertragung (Christoph Wieland, 1779)2
Stabat mater dolorosa
iuxta crucem lacrimosa,
dum pendebat filius;
iuxta crucem lacrimosa,
dum pendebat filius;
Schaut die Mutter voller Schmerzen,
wie sie mit zerrißnem Herzen
unterm Kreuz des Sohnes steht:
wie sie mit zerrißnem Herzen
unterm Kreuz des Sohnes steht:
cuius animam gementem,
contristantem et dolentem
pertransivit gladius.
contristantem et dolentem
pertransivit gladius.
Ach! wie bangt ihr Herz, wie bricht es,
da das Schwerdt des Weltgerichtes
tief durch ihre Seele geht!
da das Schwerdt des Weltgerichtes
tief durch ihre Seele geht!
O quam tristis et afflicta
fuit illa benedicta
mater unigeniti!
fuit illa benedicta
mater unigeniti!
O wie bittrer Qualen Beute
ward die Hochgebenedeite
Mutter des Gekreuzigten!
ward die Hochgebenedeite
Mutter des Gekreuzigten!
Quae maerebat et dolebat,
et tremebat, cum videbat
nati poenas incliti.
et tremebat, cum videbat
nati poenas incliti.
Wie die bange Seele lechzet!
Wie sie zittert, wie sie ächzet,
des Geliebten Pein zu sehn!
Wie sie zittert, wie sie ächzet,
des Geliebten Pein zu sehn!
Quis est homo, qui non fleret,
matrem Christi si videret
in tanto supplicio?
matrem Christi si videret
in tanto supplicio?
Wessen Auge kann der Zähren
bey dem Jammer sich erwehren,
der die Mutter Christi drükt?
bey dem Jammer sich erwehren,
der die Mutter Christi drükt?
Quis non posset contristari,
piam matrem contemplari
dolentem cum filio?
piam matrem contemplari
dolentem cum filio?
Wer nicht innig sich betrüben,
der die Mutter mit dem lieben
Sohn in solcher Noth erblikt?
der die Mutter mit dem lieben
Sohn in solcher Noth erblikt?
Pro peccatis suae gentis
Iesum vidit in tormentis
et flagellis subditum.
Iesum vidit in tormentis
et flagellis subditum.
Für die Sünden seiner Brüder,
sieht sie, wie die zarten Glieder
schwehrer Geisseln Wuth zerreißt:
sieht sie, wie die zarten Glieder
schwehrer Geisseln Wuth zerreißt:
Vidit suum dulcem natum
morientem, desolatum,
cum emisit spiritum.
morientem, desolatum,
cum emisit spiritum.
Sieht den holden Sohn erblassen,
Trostberaubt, von Gott verlassen,
still verathmen seinen Geist.
Trostberaubt, von Gott verlassen,
still verathmen seinen Geist.
Eia, mater, fons amoris,
me sentire vim doloris
fac, ut tecum lugeam.
me sentire vim doloris
fac, ut tecum lugeam.
Laß, o Mutter, Quell der Liebe,
laß die Fluth der heil‘gen Triebe
strömen in mein Herz herab!
laß die Fluth der heil‘gen Triebe
strömen in mein Herz herab!
Fac, ut ardeat cor meum
in amando Christum Deum,
ut sibi complaceam.
in amando Christum Deum,
ut sibi complaceam.
Laß in Liebe mich entbrennen,
ganz für den in Liebe brennen,
Der für mich sein Leben gab.
ganz für den in Liebe brennen,
Der für mich sein Leben gab.
Sancta mater, illud agas,
crucifixi fige plagas
cordi meo valide.
crucifixi fige plagas
cordi meo valide.
Drük, o Heilge, alle Wunden,
die dein Sohn für mich empfunden,
tief in meine Seele ein!
die dein Sohn für mich empfunden,
tief in meine Seele ein!
Tui nati vulnerati,
iam dignati pro me pati,
poenas mecum divide.
iam dignati pro me pati,
poenas mecum divide.
Laß in Reue mich zerfließen,
mit Ihm leiden, mit Ihm büßen,
mit Ihm theilen jede Pein!
mit Ihm leiden, mit Ihm büßen,
mit Ihm theilen jede Pein!
Fac me vere tecum flere,
crucifixo condolere,
donec ego vixero.
crucifixo condolere,
donec ego vixero.
Laß mich herzlich mit dir weinen,
mich durchs Kreuz mit Ihm vereinen,
sterben all mein Lebenlang!
mich durchs Kreuz mit Ihm vereinen,
sterben all mein Lebenlang!
Iuxta crucem tecum stare,
te libenter sociare
in planctu desidero.
te libenter sociare
in planctu desidero.
Unterm Kreuz mit dir zu stehen,
unverwandt hinauf zu sehen,
sehn’ ich mich aus Liebesdrang.
unverwandt hinauf zu sehen,
sehn’ ich mich aus Liebesdrang.
Virgo virginum praeclara,
mihi iam non sis amara,
fac me tecum plangere.
mihi iam non sis amara,
fac me tecum plangere.
Gieb mir Theil an Christi Leiden,
laß von aller Lust mich scheiden,
die ihm diese Wunden schlug!
laß von aller Lust mich scheiden,
die ihm diese Wunden schlug!
Fac, ut portem Christi mortem,
passionis eius sortem
et plagas recolere.
passionis eius sortem
et plagas recolere.
Auch ich will mir Wunden schlagen,
will das Kreuz des Lammes tragen,
welches meine Sünde trug.
will das Kreuz des Lammes tragen,
welches meine Sünde trug.
Fac me plagis vulnerari,
cruce hac inebriari
ob amorem filii.
cruce hac inebriari
ob amorem filii.
Laß, wenn meine Wunden fließen,
liebestrunken mich genießen
dieses tröstenden Gesichts!
liebestrunken mich genießen
dieses tröstenden Gesichts!
Inflammatus et accensus,
per te, virgo, sim defensus
in die iudicii.
per te, virgo, sim defensus
in die iudicii.
Flammend noch vom heilgen Feuer,
deck’, o Jungfrau, mich dein Schleyer
Einst am Tage des Gerichts!
deck’, o Jungfrau, mich dein Schleyer
Einst am Tage des Gerichts!
Fac me cruce custodiri,
morte Christi praemuniri,
confoveri gratia.
morte Christi praemuniri,
confoveri gratia.
Gegen aller Feinde stürmen
laß mich Christi Kreuz beschirmen,
sey die Gnade mein Panier!
laß mich Christi Kreuz beschirmen,
sey die Gnade mein Panier!
Quando corpus morietur,
fac ut anima donetur
paradisi gloriae.
fac ut anima donetur
paradisi gloriae.
Dekt des Grabes düstre Höle
meinen Leib, so nimm die Seele
auf ins Paradies zu dir!
meinen Leib, so nimm die Seele
auf ins Paradies zu dir!
- Text nach: Clemens Blume, Henry M. Bannister (Hrsg.): Die Sequenzen des Thesaurus Hymnologicus H. A. Daniels und anderer Sequenzenausgaben. 2. Teil, 1. Band: Liturgische Prosen des Übergangsstils und der zweiten Epoche (= Analecta Hymnica. Band 54). O.R. Reisland, Leipzig 1915, S. 312–318 (Textausgabe: Archive.org). ↩
- aus: Der Teutsche Merkur 1781, 1. Quartal, S. 101–106 (Textausbgabe: uni-bielefeld.de ↩