Artikel aus: SZ, 28.12.2020, S. 8
Archäologen finden in Pompeji eine Imbissbude aus dem Jahr 79, mitsamt Essensresten
Rom – Und wieder öffnet Pompeji ein Fenster auf die Antike und auf den damaligen Alltag. Bei Ausgrabungen in einem Teil der untergegangenen Stadt, der den Besuchern bisher noch verschlossen war, haben Archäologen ein völlig erhaltenes Thermopolium gefunden. So nannten die alten Römer ihre Imbissstuben mit Auslagen hin zur Straße – vom Griechischen „thermos“, warm, und „poleo“, ich verkaufe. So etwas wie Streetfood mit Take-away. In Italien nennt man sie bis heute ähnlich, nämlich „tavola calda“, warmer Tisch.
Alles ist intakt, der L-förmige Steintresen mit den Löchern, in die sie die Amphoren aus Terrakotta mit dem verzehrfertigen Essen einließen. Auch die alten Römer lebten offenbar in Hast, Mahlzeiten nahm man auch mal im Gehen ein. Allein in Pompeji gab es 80 solcher Gaststätten, an jeder zweiten Straßenecke eine. Von manchen sind Überreste entdeckt worden. Diese Imbissbude aber, an einer Piazza mit Zisterne und Brunnen gelegen, sieht so aus, als wäre sie gestern noch in Betrieb gewesen. Hinter dem Tresen fand man die Skelette zweier Männer, beide um die 50 Jahre alt, als sie starben. Ob einer der Besitzer war?
Die bunten Malereien an der Theke sind unversehrt, wie frisch gemalt. Das zentrale, etwas größere Bild zeigt die Meeresnymphe Nereide auf dem Rücken eines Seepferds, wahrscheinlich das Logo des Lokals. Auf anderen sieht man Enten und Hähne – Tiere, die da geschlachtet, gekocht und verkauft wurden. Wofür steht wohl der Hund an der Leine?
Als die Forscher eines der Löcher öffneten, stieg ihnen ein starker Geruch von Wein in die Nase – ein Gruß aus dem Jahr 79 nach Christus, dem Jahr, als der nahe Vesuv die Stadt am Golf von Neapel mit einem Regen aus Lava, Asche und Feuer überraschte, sie unter einer Decke begrub und den Moment kristallisierte. Seit dem 18. Jahrhundert taucht Pompeji nun nach und nach auf und liefert immer neue Erkenntnisse über das Leben in der Antike.
„Das ist eine außergewöhnliche Entdeckung“, sagt Massimo Osanna, der Direktor des Parco Archeologico di Pompei. Man habe zum ersten Mal richtig interdisziplinär gearbeitet. Im Einsatz waren unter anderen Archäobotaniker- und zoologen, Anthropologen, Geologen und Vulkanologen. Sie studieren nun Essensreste, die in den Amphoren lagen, um mehr zu erfahren über die Essgewohnheiten in der Antike. Gefunden haben sie nicht nur Hühnchen- und Entenknochen, sondern auch Schwein, Fisch, Schnecken, Ziege. „Das ist ein Vorgeschmack auf die mediterrane Küche“, sagt Osanna.
Italiens Kulturminister Dario Franceschini geht noch etwas weiter: „Diese Entdeckung ist ein großartiges Beispiel für den Aufschwung unseres Landes.“ Pompeji gelte mittlerweile weltweit als Vorbild für den Schutz und die Verwaltung des kulturellen Erbes. „Deshalb graben wir weiter und entdecken noch mehr wunderbare Dinge.“ Von April an soll man die antike Imbissbude besuchen können, so die Pandemie das Reisen wieder zulässt. Osanna sagt: „Das ist unser Geschenk zum Osterfest.“
Streiflicht, aus: SZ, 28.12.2020, S. 1
(SZ) Das Schöne an den Schnellimbissen war ja, dass dort alles so schnell ging: Man kam schnell vorbei, bestellte rasch etwas, das zeitnah zubereitet wurde, und stopfte das flinke Essen, umständlich an eine Aluminiumtheke gelehnt, hastig in sich hinein. Nun geht das alles nicht mehr so gut. Die meisten Menschen, die schnell essen möchten, lassen sich ihre Mahlzeiten nach Hause bringen. Der Schnellimbiss wird langsam, aber erbarmungslos vom Mehlstaub der Corona-Tage zugeschüttet, so wie das alte, einstmals so lebensfrohe Pompeji von den Lavamassen des Vesuvs. Nun wird hier diese allegorische Kapriole nicht zufällig geschlagen, denn ausgerechnet in Pompeji, dessen erstaunliche Alltagskultur seit mehr als 1940 Jahren unter Bimssteintrümmern und Magmakrusten konserviert ist, ausgerechnet dort haben Archäologen jetzt einen Schnellimbiss ausgegraben, sozusagen das KFC des alten Kampaniens.
Der Imbiss, dessen architektonische Reste so erstaunlich gut überliefert sind wie seine kulinarischen, muss wohl sehr rasch seinen gastronomischen Betrieb eingestellt haben. Alle sind sie schnell abgehauen, außer einem Mann, der seiner Naschhaftigkeit nachgab und blitzschnell vom heißen Brei des Vulkans übermannt wurde, während er noch den Deckel des Kochtopfs in der Hand hielt. War er ein Dieb oder war er der Koch? War er ein Kulinarkritiker, der die Textur des Hahns am Stock prüfen wollte? Hahn am Stock war der Renner in diesem Lokal, Chicken to go. Oder war er ein Stammgast, der seit Urgedenken das Recht hatte, jederzeit in der Küche von Pompejis Schnellbraterei rumzustehen wie später manche pensionierte, aber immer noch neugierige Zeitungsredakteure in der Küche der Schumann’s Bar? Über ihn werden wir wohl nichts Näheres erfahren. Wohl aber über die frühen Koordinaten eines Geschäftsmodells, das trotz der pompejianischen Katastrophe seinen Siegeszug durch die Welt antreten sollte und zu dem ja auch die Lebensmittelfotografie gehört. Farblich übersteuerte Fotos von Dönern und Currywurstgerichten leiten uns heute zur Entscheidungsfindung. Im Schnellimbiss von Pompeji, sie nannten ihn damals Thermopolium, waren Ziegen und Schweine an die Theke gemalt, nur die Preise fehlten, die Zusatzstoffangaben und die Soßenauswahl.
All dies sind schöne Funde, die zeigen, dass schlechte Essgewohnheiten eine Tradition haben. Nur der tote Mann mit dem Topfdeckel geht uns nicht aus dem Kopf. Die Archäologen stellten auch folgende in den Tresen geritzte Losung sicher: „Nicias schamloser Scheißer“. War Nicias der Besitzer der Imbissbude? Und stammte der Spruch von dem Mann mit dem Deckel in der Hand? Dann erhärtet sich magmaartig der Verdacht, dass es sich bei dem Toten tatsächlich um einen Gastrokritiker handelt, dessen pointierter Stil die Zeitläufte überdauert hat.